VZ-Analyse

Der geheime Indikator, der Warren Buffett in den Schatten stellt

Ein simpler Makro-Indikator der OECD hätte in den letzten 30 Jahren Buy-and-Hold-Strategien weit übertroffen – mit weniger Risiko und beeindruckender Präzision.

11. Apr. 2025

Warren Buffett konnte sich in einem Interview einst ein Schmunzeln nicht verkneifen, als es um Volkswirtschaftler ging: «Ich ignoriere alles, was sie sagen.» Mit dieser Haltung ist er nicht allein – auch Investmentlegenden wie Peter Lynch und George Soros halten die Erkenntnisse der Volkswirtschaftslehre für wenig hilfreich beim Investieren.

Viele Privatanleger folgen ihrem Beispiel. Doch was, wenn Buffett und Co. etwas Entscheidendes übersehen? Der Composite Leading Indicator (CLI) – zu finden auf der OECD-Website – könnte sie eines Besseren belehren.
 

Die Ampel für die Weltwirtschaft: Wie der CLI funktioniert

Dieser volkswirtschaftliche Indikator, der monatlich auf der Website der OECD aktualisiert wird, funktioniert wie eine Ampel für die Weltwirtschaft. Er wurde entwickelt, um Wendepunkte im Konjunkturzyklus frühzeitig zu erkennen. Dafür kombiniert er Daten aus 17 Ländern – beispielsweise Arbeitsmarkttrends in Deutschland, Fabrikbestellungen in Japan oder Baugenehmigungen in den USA. Jedes Land hat eine einzigartige Mischung von Indikatoren, doch zusammen ergeben sie ein zuverlässiges Bild davon, wohin sich die Welt wirtschaftlich bewegt.

Es gibt allerdings zwei – kleine – Hürden. Erstens sind die Daten des CLI nicht sofort verfügbar. Sie werden monatlich gesammelt, und nach dem Monatsende vergehen bis zu zwei Wochen bis die Daten auf der CLI-Website veröffentlicht zu werden. Nun sind 14 Tage in Börsenzeit eine Ewigkeit – in dieser Zeit kann viel passieren. Zweitens liefert die OECD nicht direkt die entscheidenden Informationen. Die veröffentlichte CLI-Zahl ist das aggregierte Ergebnis aus den CLIs für die einzelnen Länder, aber das eigentliche Potenzial liegt nicht in der Hauptkennzahl.


Eine Strategie, die selbst Investmentgurus übertrifft

Der eigentliche Schatz verbirgt sich in der Frage: Wie viele der 17 Länder haben einen Anstieg ihres CLI gegenüber dem Vormonat verzeichnet? Das ist der Schlüssel zu einem Indikator, der in den letzten Jahren eine erstaunliche Prognosekraft besass, und der sich in eine Strategie ummünzen liess, die weitaus besser abgeschnitten hätte als Buy-and-Hold. Man muss sich allerdings die nötigen Daten selbst auf der CLI-Homepage zusammensuchen.  

Die Regeln dieser Strategie lauten dann wie folgt:  

  1. Am 15. Kalendertag eines jeden Monats (oder am ersten Handelstag danach) schauen Sie auf der OECD-Webseite nach, wie viele der 17 Länder des CLI-Indexes ihren Wert gegenüber dem Vormonat verbessern konnten.  
  2. Wenn es 6 Länder oder mehr sind, gehen Sie in den SPI, ansonsten gehen Sie in Cash. Halten Sie die Position bis zum 15. Kalendertag des Folgemonats (oder dem ersten Handelstag danach) und wiederholen Sie die Prozedur.

Wie hätte diese Strategie in den letzten 30 Jahren im Vergleich zur Strategie Kaufen und Halten abgeschnitten? Die folgende Grafik zeigt die Antwort. 

Quelle: Berechnungen VZ, Daten Bloomberg

 

Der Gewinn – ohne Berücksichtigung von Kosten – wäre im betrachteten Zeitraum nahezu dreimal so hoch ausgefallen wie bei einer klassischen Buy-and-Hold-Strategie – und das bei deutlich geringerem Risiko. Während Anleger bei Buy-and-Hold zwischenzeitlich Verluste von bis zu 50 Prozent hinnehmen mussten, hätte der maximale Rückgang mit dem CLI lediglich 25 Prozent betragen – und selbst dieser war allein der Corona-Krise geschuldet.

In schwierigen Börsenphasen wie nach dem Platzen der Dotcom-Blase, der Finanzkrise oder im Jahr 2018 hätte der Indikator zuverlässigen Schutz vor grösseren Abschwüngen geboten. Die zweiwöchige Verzögerung bei der Veröffentlichung der Daten stellte rückblickend kein nennenswertes Problem dar.

Dabei könnten diese Zahlen die Stärke des CLI-Indikators sogar noch unterschätzen: Zusätzliche Backtests deuten darauf hin, dass die Ergebnisse etwas besser ausfallen, wenn man direkt nach Veröffentlichung der Daten handelt – also nicht wie im VZ-Backtest bis zum 15. des Monats wartet.  


Warum der CLI als Indikator so stark ist – und seine Grenzen

Es stellt sich die Frage, weshalb der CLI als Indikator in der Vergangenheit so gut funktioniert hat. Auffällig ist, dass sich mithilfe dieses Makroindikators grosse Abwärtsbewegungen wirksam abfedern liessen, während man aber an den bedeutenden Aufwärtsphasen partizipierte. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass die CLI-Strategie nur dann nicht investiert ist, wenn sehr viele Länder negative Signale senden. In solchen Phasen bestehen erhöhte Risiken für die globale Konjunktur, was sich in der Regel in den Aktienmärkten widerspiegelt – insbesondere in einem so vom Aussenhandel abhängigen Land wie der Schweiz.

Natürlich lässt sich nicht ausschliessen, dass der CLI in Zukunft weniger gut funktioniert als in der Vergangenheit – oder zumindest über längere Zeiträume hinweg hinter den Erwartungen zurückbleibt. Daher sollten Investoren die hier vorgestellte Vorgehensweise nicht einfach nachbauen oder ihr unkritisch folgen.

Der CLI beweist allerdings, dass es inmitten des volkswirtschaftlichen Rauschens auch Signale gibt – Werkzeuge, die selbst von den Gurus übersehen werden. Es geht nicht darum, makroökonomische Daten zu vergöttern oder den gesunden Menschenverstand über Bord zu werfen – es kann jedoch nützlich sein, dem eigenen Spielplan eine zusätzliche Ebene hinzuzufügen. Dafür braucht man weder einen Doktortitel noch ein Bloomberg-Terminal. Nur einen Browser und die Bereitschaft, dorthin zu schauen, wo andere nicht suchen.