VZ-Analyse
Hermès überholt LVMH und wird zum wertvollsten Luxusunternehmen der Welt. Wie gelang der Aufstieg – und was bedeutet er für die Zukunft der Branche?
In diesen Tagen wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Luxusindustrie aufgeschlagen: Hermès, der traditionsreiche Pariser Hersteller von Birkin-Taschen und Seidentüchern, hat erstmals den langjährigen Branchenprimus LVMH überholt und ist mit einer Marktkapitalisierung von 244 Milliarden Euro zum wertvollsten Luxusunternehmen der Welt aufgestiegen. Mittlerweile hat LVMH die Spitze zwar zurückerobert, aber wie konnte Hermès, dessen Umsatz nur ein Fünftel so hoch ist wie der von LVMH, den deutlich grösseren Rivalen überholen?
Ein Blick auf die Geschäftszahlen liefert die Erklärung: LVMH – unter seinem Dach sind Marken wie Louis Vuitton, Dior und Sephora – erzielte 2024 einen Umsatz von 85 Milliarden Euro, wobei der Gewinn um 17 Prozent auf 12,55 Milliarden Euro sank. Hermès hingegen setzte seinen Wachstumskurs unbeirrt fort: Der Umsatz stieg 2024 um 13 Prozent auf 15,2 Milliarden Euro, der operative Gewinn erreichte 6,2 Milliarden Euro – eine operative Marge von 40,5 Prozent. Die Nettogewinnmarge lag bei über 30 Prozent – Werte, von denen die Konkurrenz nur träumen kann.
Das Erfolgsgeheimnis von Hermès
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der kompromisslosen Exklusivität der Marke. Hermès richtet sich gezielt an eine kleine, äusserst vermögende Klientel und produziert seine begehrten Lederwaren – allen voran die Birkin- und Kelly-Bags – bewusst in limitierter Stückzahl. Das jährliche Produktionswachstum wird auf 6 bis 7 Prozent begrenzt. So bleibt die Nachfrage dauerhaft höher als das Angebot. Lange Wartelisten und Einstiegspreise ab 10’000 Franken unterstreichen den Nimbus der Produkte als ultimative Statussymbole. Auf dem Sekundärmarkt erzielen sie oft ein Vielfaches des ursprünglichen Verkaufspreises.
Diese Strategie der «gesteuerten Knappheit» sorgt nicht nur für stabile Margen, sondern auch für eine aussergewöhnliche Gesamtkapitalrendite: Während LVMH rund 9 Prozent erreicht, liegt Hermès bei bemerkenswerten 21 Prozent. In einem unsicheren Marktumfeld erweist sich diese Fokussierung auf die Superreichen als robuster Wachstumstreiber.
LVMH verfolgt einen anderen Ansatz und verbindet die gegenläufigen Prinzipien Exklusivität und Masse. Daher richtet es sich mit seinen Marken und Preisstrategien vor allem an die Mittelschicht – an Kundinnen und Kunden, die sich Luxus nur hin und wieder leisten. Dieser breitere Fokus ermöglicht zwar grösseres Umsatzwachstum, macht LVMH jedoch deutlich anfälliger für Konjunkturschwankungen. Bei erhöhter Inflation etwa oder in wirtschaftlich unsicheren Zeiten neigen Mittelschichtskunden dazu, Luxusausgaben zu verschieben oder ganz auszusetzen. Für die Superreichen dagegen ist immer Luxussaison.
Prada übernimmt Versace: Strategische Weichenstellung
Parallel zum Führungswechsel an der Spitze des Luxusmarkts sorgte eine weitere Nachricht für Aufsehen: Prada übernahm Versace für 1,375 Milliarden US-Dollar von Capri Holdings, früher unter dem Namen Michael Kors bekannt. Der Preis liegt deutlich unter den 2,15 Milliarden Dollar, die Capri 2018 für Versace bezahlt hatte.
Mit dem Erwerb von Versace festigt Prada seine globale Präsenz im Luxussegment und treibt seine Expansionsstrategie voran. Und das ist unabdingbar in einem Markt, der von Schwergewichten wie LVMH, Richemont und dem neuen Bewertungs-Primus Hermès dominiert wird. Kleinere Player wie Prada müssen durch Übernahmen, strategische Allianzen oder Markenportfolio-Innovationen dafür sorgen, dass sie nicht zwischen den Giganten zerrieben werden.
Fazit: Exklusivität als Erfolgsrezept
Die jüngsten Schwierigkeiten von LVMH offenbaren die Schwächen des volumengetriebenen Geschäftsmodells in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Gleichzeitig verdeutlicht die Übernahme von Versace durch Prada, wie essenziell Konsolidierungen und strategische Allianzen mittlerweile für kleinere Marktakteure geworden sind. Demgegenüber bleibt Luxus für Superreiche ein verlässlicher Wachstumstreiber – und Hermès beherrscht dieses Spiel meisterlich.