VZ-Analyse

Tech-Übernahmen statt IPO: Wachsende Macht der Grossen

Die Zahl der Börsengänge sinkt weltweit – trotz boomender Aktienmärkte. Während sich in den vergangenen Jahrzehnten viele innovative Unternehmen über den Kapitalmarkt finanzierten, hat sich das Bild in den letzten Jahren gewandelt.

27. Febr. 2025

Autor: Andreas Paciorek / VZ VermögensZentrum

Höhere Zinsen, regulatorische Hürden und neue Finanzierungsquellen sind nur ein Teil der Erklärung. Ein oft übersehener Faktor: Die gezielte Übernahme junger Tech-Unternehmen durch Big Player wie Google, Apple oder Microsoft. Statt Innovationen eigenständig an die Börse zu bringen, werden sie zunehmend von etablierten Konzernen geschluckt – mit weitreichenden Konsequenzen für den Wettbewerb und die Marktstruktur.

Die globale Landschaft der IPO (Börsengänge) zeigt über die letzten zwei Jahrzehnte erhebliche Schwankungen. Während 2007 die Zahl der neuen Börsengänge aufgrund starken Wirtschaftswachstums und Marktvertrauens anstieg, kam es während der Finanzkrise 2008 zu einem starken Rückgang. Nach der Krise erholte sich die IPO-Aktivität, unterstützt durch geldpolitische Maßnahmen und technologische Innovationen, wobei 2021 ein Rekordjahr mit über 1'400 neuen Börsengängen und 485 Milliarden US-Dollar Volumen war (über 50 Millionen US-Dollar Volumen sowie geschlossene Fonds, REITs und SPACs ausgenommen).

In den letzten Jahren jedoch zeichnet sich ein markanter Wandel im Finanzierungs- und Technologiesektor ab: Sowohl global als auch in den USA sinkt die Zahl der Börsengänge (IPO) – ein Phänomen, das nicht nur mit strikteren finanziellen Bedingungen, wie beispielsweise höheren Zinsen, globalen politischen Spannungen und wirtschaftlichen Herausforderungen verknüpft ist, sondern auch eng mit der zunehmenden Übernahme junger, innovativer Unternehmen durch etablierte Technologiekonzerne.

Zahl der Börsengänge bleibt niedrig

Trotz der aktuellen Rekordjagd an den Börsen bleibt die Zahl der Börsengänge niedrig. Anleger und Ökonomen machen dafür verschiedene Gründe verantwortlich. Während Unternehmen in den Jahren 2020 und 2021 bei niedrigsten Zinssätzen noch hohe private Bewertungen erzielten, fürchten einige nun eine niedrigere Bewertung bei einem Börsengang. Gleichzeitig bieten Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds genügend Kapital, sodass Unternehmen keinen IPO mehr benötigen. 

Zudem beeinflusst die wachsende Bedeutung von passivem Investieren den Markt: ETFs und Indexfonds bevorzugen etablierte Unternehmen, während IPO oft wenig Beachtung finden. Eine sinkende Analystenabdeckung verstärkt dieses Problem. Hohe regulatorische Hürden und Kosten, etwa durch den Sarbanes-Oxley Act oder ESG-Anforderungen, machen IPOs zusätzlich unattraktiv, da ein grosser Aufwand für die Erstellung von Rechenschaftsberichten und ESG-Kennziffern auf diese zukomme. Darüber hinaus wecken grosse IPOs weiterhin Interesse, mittelgroße und kleinere Unternehmen kämpfen aber mit einer geringen Nachfrage.

Ein Grund, der weniger stark öffentlich diskutiert wird, für den es allerdings zahlreiche Hinweise gibt, ist das verstärkte Aufkaufen innovativer Unternehmen durch die Big-Techs. Die Überzeugung, dass das Nutzen von Machine Learning und KI zur Extraktion von Informationen aus riesigen Datenmengen die größte technologische Chance unserer Generation darstellt, treibt Unternehmen wie Meta, Google, Amazon, Microsoft und Apple dazu, seit über einem Jahrzehnt gezielt Talente aus Startups und Forschungseinrichtungen zu rekrutieren. So wurden im Silicon Valley beispielweise von 2014 bis 2019 rund 90 Prozent der KI-Startups von führenden Tech-Konzernen übernommen.

Dabei steht nicht primär der sofortige Markterfolg eines Produkts im Vordergrund, sondern vor allem der strategische Zugang zu erstklassigen KI-Teams und innovativem Know-how. Häufig werden die erworbenen Technologien entweder als Feature in bestehende Angebote integriert oder in Forschungsabteilungen weiterentwickelt – das Ziel ist es, den Wettbewerbsvorteil zu sichern und Konkurrenten nicht nur abgehängt, sondern auch aktiv vom Zugang zu dieser wertvollen Ressource abzuschneiden.

Trend dürfte sich fortsetzen

Hinweise dafür, dass sich dieser Trend fortsetzt, lassen sich im globalen Venture-Markt selbst beobachten. Einer Studie des US-Marktforschungsunternehmens CB Insights zufolge, floss im Jahr 2024 ein Rekordwert von 37 Prozent des gesamten Venture-Kapitals in Startups aus dem Bereich Künstliche Intelligenz (KI). Gleichzeitig sind KI-Startups besonders frühzeitig im Visier von Investoren und etablierten Konzernen, was sich in einer hohen Anzahl und Anteil an M&A-Aktivität widerspiegelt. 

Ein weiterer Hinweis: Die grössten Finanzierungsrunden 2024 gingen ausschliesslich an AI-Modell- und -Infrastruktur-Unternehmen, die meist ohnehin in engem Zusammenhang mit den Tech-Giganten stehen – etwa OpenAI, xAI oder Anthropic. Diese Kapitalströme stärken zusätzlich die Vormachtstellung weniger großer Unternehmen, während andere Sektoren – insbesondere außerhalb der KI-Industrie – unter sinkenden Finanzierungs- und Innovationsmöglichkeiten leiden. Die Superschwergewichte der Technologiebranche – speisen auf diese Art kontinuierlich ihr technologisches Know-how aus dem Startup-Ökosystem.

Diese Akquisitionen – und die damit verbundene geringere Anzahl eigenständiger Börsennotierungen – tragen dazu bei, dass Tech-Schwergewichte immer stärker in den Indizes vertreten sind. Die unter der Bezeichnung «Glorreichen Sieben» zusammengefassten US-Unternehmen Apple, Nvidia, Alphabet, Meta, Amazon, Tesla und Microsoft, machten 34 Prozent des S&P 500 aus, also dem Index aus den 500 grössten börsennotierten Unternehmen der USA.

Fokussierung als rationale Strategie

Diese Fokussierung auf den Erwerb von AI-Talenten und Technologien ist aus mikroökonomischer Sicht eine rationale Strategie. Die großen Konzerne verfügen über die finanziellen Mittel, Skaleneffekte und Infrastrukturen, um das neu akquirierte Know-how langfristig in profitable Produkte umzusetzen. Auf makroökonomischer Ebene hat diese „Hoarding“-Strategie jedoch weitreichende Konsequenzen: Der technologische Fortschritt in anderen Branchen – etwa in der Versicherungswirtschaft, Landwirtschaft oder im Automobilsektor – wird gehemmt, wenn das meiste KI-Potenzial in den großen Tech-Unternehmen gebündelt wird.

Nicht verwunderlich also, dass das Auftreten immer günstigerer und vielfältigerer KI-Anwendungen wie das jüngst die Schlagzeilen dominierende DeepSeek, die Bewertungen aus der Old Economy beflügeln. Endlich dürfte auch dort die Künstliche Intelligenz vermehrt Einzug finden und dort die Produktivität steigern.

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