Geldanlagen

Leitzins-Senkung der EZB ist in Griffweite

An den Börsen hat der Risikoappetit im Mai wieder zugenommen. Zinshoffnungen, nachlassende geopolitische Risiken und der Boom der Künstlichen Intelligenz haben den Aufschwung getragen. Eine Einschätzung von VZ-Anlagechef Christoph Sax.

Christoph Sax
Chief Investment Officer
Publiziert am
05. Juni 2024

An den Finanzmärkten hat sich die Stimmung im Mai deutlich aufgehellt. Geopolitische Risiken sind etwas in den Hintergrund getreten. Der Ölpreis hat erneut etwas an Terrain eingebüsst. Sichere Häfen waren weniger gefragt. Gleichzeitig hat sich die Erwartung gefestigt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins bereits am Donnerstag senken wird. Auch in den USA haben die jüngsten Wirtschaftsdaten die Zuversicht gestärkt, dass die Inflation mittelfristig weiter sinken wird.

Zinssensitive Anlagen konnten in der Folge auf breiter Front zulegen. Die Rendite zehn- jähriger US-Treasuries verringerte von 4,68 Prozent auf 4,48 Prozent. Die Aktienmärkte erreichten teilweise neue Allzeithochs. In den USA überschritt der Dow-Jones-Index erstmals die Marke von 40’000 Punkten. Er konnte sich allerdings nicht nachhaltig darüber etablieren.

Erfreulich war auch, dass der SMI nach einer zwischenzeitlichen Schwächephase ebenfalls erhebliche Kursgewinne erzielen konnte. Die Kurserholung beim Schwergewicht Roche hatte die Aufholbewegung begünstigt. Gefragt waren unter anderem auch Richemont, UBS und ABB.

Die nächste industrielle Revolution

In den USA konnten Technologiewerte nach einer kleinen Schwächephase wieder stärker zulegen als der Gesamtmarkt. Zu verdanken ist dies unter anderem dem Chiphersteller Nvidia, der mit seinen Zahlen zum 1. Quartal 2024 die Erwartungen übertraf. Nvidia hat den Absatz mit Chips für Datenzentren gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres verfünffacht, der Gewinn hat sich sogar versiebenfacht. Diese Zahlen zeigen: Künstliche Intelligenz (KI) ist längst zum Milliardengeschäft geworden. Die grossen Technologieunternehmen tragen massgeblich dazu bei, allen voran Microsoft und Meta. Sie investieren kräftig in das Geschäft mit KI. Der CEO und Gründer von Nvidia, Jensen Huang, sieht die Wirtschaft mitten in der nächsten industriellen Revolution. Künstliche Intelligenz (KI) bringe fast jeder Branche signifikante Produktivitätsgewinne.
 

Wegweisende Notenbankentscheide

Der Juni wird im Zeichen der Notenbankentscheide stehen. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte nach dem jüngsten Anstieg der Teuerung mit einer weiteren Leitzinssenkung bis im Herbst zuwarten.

In der Eurozone dagegen wird die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins voraussichtlich am 6. Juni erstmals senken. EZB-Chefin Christine Lagarde hat in den letzten Wochen mehrmals angedeutet, dass das Inflationsziel von 2 Prozent in Reichweite sei. Ihr französischer Ratskollege François Villeroy de Galhau erachtet sogar zwei Leitzinssenkungen im Juni und im Juli als denkbar, sofern sich die Wirtschaftsdaten wunschgemäss entwickeln. Das grösste Fragezeichen bleibt die US-Notenbank Fed: In den USA tendiert die Inflationsrate seit mehreren Monaten bei rund 3,5 Prozent seitwärts. Die Mitglieder des Offenmarktausschusses waren sich beim letzten Zinsentscheid von Anfang Mai deshalb einig, dass eine geldpolitische Lockerung noch nicht angezeigt ist. Es ist aber nach wie vor wahrscheinlich, dass das Fed seinen Leitzins in der zweiten Jahreshälfte zumindest einmal senken wird.

Die Inflation hat auch in den USA stark an Breite verloren. Bei den meisten Waren- und Dienstleistungskategorien liegt sie wieder im Normbereich. Der Lohndruck hat ebenfalls nachgelassen. Die Chancen stehen deshalb gut, dass die Zinsen auch im Dollar-Raum ihren Höhepunkt erreicht haben. Hinzu kommt, dass die US-Notenbank ihren Bilanzabbau bereits im Juni verlangsamen wird. Sie wird damit einen grösseren Teil der Rückzahlungen von auslaufenden US-Staatanleihen wieder reinvestieren.

Die längerfristigen Dollar-Zinsen dürften dadurch tendenziell fallen. Sollte das Fed demnächst auch eine erste Leitzinssenkung in Aussicht stellen, würde dies den Ausblick für Dollar-Anleihen nochmals verbessern.