Sprechen Sie über Ihren letzten Willen
Gabrielle Sigg empfiehlt, das Gespräch mit der ganzen Familie zu suchen und den Nachlass rechtzeitig zu regeln. Hier erklärt die Leiterin der Willensvollstreckung des VZ, wie sich Erbstreitigkeiten vermeiden lassen.
Frau Sigg, worüber streiten sich Erbinnen und Erben am häufigsten?
Vordergründig darum, wer wie viel bekommt. Oft stellt sich heraus, dass es tatsächlich darum geht, was zu Lebzeiten der Erblasser passiert ist. Wenn zum Beispiel eine Tochter lange für die Eltern gesorgt hat, am Ende aber gleich viel aus dem Nachlass erhält wie ihre Geschwister, können alte Wunden aufreissen, und Konflikte kommen an die Oberfläche. Besonders häufig wird um Häuser und Wohnungen gestritten.
Warum?
Sie lassen sich nicht so einfach aufteilen wie zum Beispiel Kontoguthaben. Und speziell das Elternhaus ist mit Erinnerungen und Gefühlen verbunden. Wer es übernimmt, muss die übrigen Erbinnen und Erben auszahlen. Wenn das Geld dafür fehlt, droht unter Umständen der Verkauf an Aussenstehende. Oft ist sich eine Erbengemeinschaft auch uneinig, wie viel die Liegenschaft wirklich wert ist.
Wie findet eine Erbengemeinschaft da eine Lösung?
Ich rate dann, dass sie das Haus von einer Fachperson schätzen lässt. Man kann auch mehrere Schätzungen einholen und den Mittelwert nehmen.
Wie erspart man seinen Angehörigen Erbstreitigkeiten?
Jeder und jede sollte den Nachlass regeln, besser heute als morgen. Viele fühlen sich erleichtert, wenn sie das erledigt haben. Ich empfehle, seine Wünsche und Absichten offen mit der ganzen Familie zu besprechen. So kann man viele Konflikte im Voraus ausräumen. Am besten ist es, wenn die Familie gemeinsam einen Erbvertrag ausarbeitet, den alle unterschreiben. Das schafft Transparenz und ist für alle Beteiligten verbindlich.
Es braucht also gar kein Testament?
Doch: Je nach Situation eignet es sich besser als ein Erbvertrag. Wer ein Testament aufsetzt, braucht die Zustimmung der Angehörigen nicht und kann es jederzeit ändern oder aufheben. Es lohnt sich jedoch, mit der Familie über den Inhalt zu sprechen.
Seit 2023 gilt das neue Erbrecht. Gibt es jetzt mehr Streit ums Erbe?
Nein, das beobachte ich nicht, auch wenn man jetzt den Lieblingssohn oder die beste Freundin stärker begünstigen kann. Hingegen sehe ich ab und zu, dass Testamente und Erbverträge nicht an das neue Recht angepasst wurden. Wenn darin die alten Pflichtteile festgehalten sind, kann das bei der Erbteilung zu Unklarheiten und Streit führen. Ich empfehle darum, mit einer Fachperson zu prüfen, ob etwas angepasst werden muss.
Was sollten Eltern bei Erbvorbezügen eines Kindes beachten?
Nach ihrem Tod muss das Kind den Erbvorbezug gegenüber den anderen Erbinnen und Erben ausgleichen. Eltern können es in ihren Nachlassregelungen ganz oder teilweise von dieser Vorgabe befreien, solange keine Pflichtteile verletzt werden. Wichtig ist, dass sie genügend Vermögen für ungeplante Ausgaben behalten, bevor sie grosszügig Geld verteilen. Paare sollten sich gegenseitig absichern und dabei das Güter- und Erbrecht optimal nutzen.