Pflichtteil: Das sollten Sie wissen
Das Schweizer Erbrecht sieht vor, dass bestimmten Erben ein Pflichtteil zusteht – und zwar in der Regel selbst dann, wenn das Testament etwas anderes vorsieht. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Pflichtteil.
Beitrag empfehlen
Wer hat Anspruch auf den Pflichtteil?
Der überlebende Partner sowie die eigenen Kinder. Eingetragene Partner sind den Ehegatten gleichgestellt. Kinder, die nach dem 1. April 1973 adoptiert wurden, sind leiblichen Kindern rechtlich gleichgestellt. Mit der Adoption erlischt aber das Erbrecht gegenüber den leiblichen Eltern.
Sind die Kinder der verstorbenen Person nicht mehr am Leben, gehen ihre Pflichtteile auf ihre Nachkommen über. Das bedeutet: Hinterlässt ein Verstorbener Enkel, haben sie Anrecht auf den Pflichtteil, der für ihren verstorbenen Elternteil vorgesehen ist. Der Pflichtteil des Ehepartners hingegen wird nicht weitervererbt.
Warum gibt es Pflichtteile?
Der Gesetzgeber möchte, dass mindestens ein Teil des Vermögens, das frühere Generationen erarbeitet haben, in der Familie bleibt. Neben der traditionellen Familie sind heute allerdings auch neuere Lebensmodelle weit verbreitet. Viele Paare entscheiden sich bewusst für ein Konkubinat, oder die beiden Partner bringen Kinder aus früheren Beziehungen in die neue Lebensgemeinschaft oder Ehe mit ein. Weder Konkubinatspartnern noch Stiefkindern steht heute aber von Gesetzes wegen ein Mindestanteil am Erbe zu.
Immerhin wurde das Schweizer Erbrecht per 1. Januar 2023 etwas angepasst. Eine der wichtigsten Änderungen betrifft die Pflichtteile. Der Pflichtteil der Kinder wurde reduziert und jener der Eltern ganz aufgehoben. Die Eltern hatten unter dem alten Erbrecht Anspruch auf einen Pflichtteil, wenn der Erblasser keine Nachkommen hinterliess. Dank dieser Erbrechtsrevision lassen sich nun zum Beispiel auch Lebenspartner oder Stiefkinder im Testament stärker begünstigen.
Tipp: Testamente, die vor dem 1. Januar 2023 verfasst wurden, sollte man aufgrund der geänderten Pflichtteile überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Zwar bleiben diese Testamente auch unter dem neuen Erbrecht gültig, einige gebräuchliche Formulierungen zu den Pflichtteilen können aber Probleme verursachen. Im schlimmsten Fall wird das Erbe nicht so aufgeteilt, wie es sich die Erblasser gewünscht hatten. Mehr dazu erfahren Sie hier.
Wie hoch ist der Pflichtteil?
Der Pflichtteil des Ehepartners und der Nachkommen beträgt die Hälfte dessen, was ihnen gemäss der gesetzlichen Erbfolge vom Nachlassvermögen zusteht. Die gesetzliche Erbfolge kommt immer dann zur Anwendung, wenn die verstorbene Person keine letztwillige Verfügung hinterlassen hat. Die Höhe der Erbteile und folglich auch die Höhe der Pflichtteile hängt von der jeweiligen Familienkonstellation ab:
- Hinterlässt eine verstorbene Person einen Ehepartner und ein Kind, betragen die Pflichtteile des Ehepartners und des Kindes jeweils 1/4 des Nachlassvermögens. Bei mehreren Kindern wird dieser Viertel zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt. Sind also zum Beispiel zwei Kinder vorhanden, haben beide Anspruch auf einen Pflichtteil von 1/8.
- Hinterlässt eine verheiratete Person keine Nachkommen, beträgt der Pflichtteil des Ehegatten 3/8.
- Hinterlässt eine unverheiratete Person Nachkommen, beträgt ihr Pflichtteil 1/2.
So hoch sind die Pflichtteile je nach Familienkonstellation
Lesen Sie regelmässig unsere Tipps zu AHV, Pensionskasse und 3. Säule:
Was geschieht, wenn der Pflichtteil verletzt wird?
Ein Testament, das die Pflichtteile verletzt, können die Benachteiligten mit einer sogenannten Herabsetzungsklage anfechten. Tun sie das nicht innerhalb eines Jahres, nachdem sie von der Verletzung ihres Pflichtteils erfahren, bleibt das Testament gültig.
Wie kann man Pflichtteile umgehen?
Pflichtteilsgeschützte Erben können freiwillig auf ihren Pflichtteil verzichten – gegen eine einmalige Abfindung (sog. Erbauskauf) oder unentgeltlich. Dieser Verzicht ist aber nur dann verbindlich, wenn er in einem Erbvertrag geregelt ist, der öffentlich beurkundet wird. Nur so können Erblasser ausschliessen, dass pflichtteilsgeschützte Erben bei der Erbteilung Ansprüche geltend machen können, auf die sie früher verzichtet hatten. Verzichtet jemand endgültig auf seinen Pflichtteil und stirbt vor dem Erblasser, haben auch seine Nachkommen keinen Anspruch mehr auf den Pflichtteil, der gemäss gesetzlicher Erbfolge für ihren verstorbenen Elternteil vorgesehen wäre.
Ohne Einwilligung der Betroffenen kann man jemanden seinen Pflichtteil nur in ganz wenigen Fällen entziehen. Etwa dann, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe eine schwere Straftat gegen den Verstorbenen oder eine ihm nahe stehende Person begangen hat.
Ehepaare können den überlebenden Partner stärker begünstigen, etwa in dem sie ihm im Testament die Nutzniessung an der ganzen Erbschaft zusprechen oder dem Partner im Ehevertrag das gesamte Errungenschaftsvermögen zuweisen. In diesen Fällen können nur nichtgemeinsame Kinder ihren Pflichtteil einfordern. Gemeinsame Kinder und ihre Nachkommen darf man hingegen so übergehen, weil ihnen ihr Anteil am Vermögen des verstorbenen Elternteils nach dem Tod des zweiten Elternteils zufällt.
Pflichtteile dürfen auch nicht durch eine Nacherbschaft oder abgesehen von der oben erwähnten Ausnahme mit Nutzniessungsrechten belastet werden. Ein Erbe muss sich auch nicht damit abfinden, dass sein Pflichtteil an gewisse Auflagen oder Bedingungen gebunden ist.